Dieser Text entstand 2020 im Rahmen des Deutschunterrichts und irgendwie … tja, irgendwie habe ich noch immer Spaß daran, ihn zu lesen. Vielleicht gefällt er Dir ja auch. 🙂
Faust? Verwende ich einzig zum Verschönern der Gesichtskonturen besonders abgebrühter, schamlos dreister Possenreißer. Und Goethe? Nun, der wird vom Durchschnittsmensch für kaum mehr als fortwährend andauernde, ausufernde Lobreden benötigt, nicht jedoch zum Vergreisen. Denn, wie schon ein längst verstorbener Dichter aus alten Zeiten uns einst offenbarte: »Alt wird man wohl, wer aber klug?«[1] Nun, da hat man das Dilemma. Was soll schon eines – zwar bemerkenswert qualifizierten, aber dennoch offenkundig unvollkommenen – Intellektuellen Meisterwerk an solch fundamentaler Weisheit ändern? Und – wenn dem so ist – so muss man sich doch wohl der Frage stellen, was ferner das Lesen jenes Werkes noch erstrebenswert scheinen lässt?
Freilich kann man als durchaus triftigen Grund den Aspekt der Allgemeinbildung anführen. Nehme man also an, man bequeme sich dazu, jene 4614 von philosophischer Tiefe geprägten Verse, die Ausgeburt menschlichen Wissensdrangs, zu lesen. Doch nachfolgend ist die Enttäuschung groß, denn »da steh[t man] nun [als] armer Tor, und [ist] so klug als wie zuvor.«[2]
Falls man sich dann jedoch im Anschluss dazu aufraffen kann, sich diesem Thema ein klein wenig ausgiebiger zu widmen und in aller Ausführlichkeit beginnt, einzelne Passagen des fulminanten Werkes zu überdenken, so ist es dem gebildeten Menschen durchaus möglich, gewisse Parallelen zur heutigen Realität zu ziehen, dabei also zweifellos auch einige zeitgenössische Elemente herausfiltern zu können. Betrachte man es also als Parabel auf die globalisierte, exorbitant beschleunigte Welt und sehe sich beispielhaft die Konsumgesellschaft der heutigen Zeit an.
Ging der gelehrte Herr Faust mit infernalischem Enthusiasmus und ohne Rücksicht auf Verluste dem unaufhaltsamen, penetranten Drang nach unbegrenztem Verständnis nach, so sind es heute quietschvergnügte, gewissenlose Marionetten der Modeindustrie, die mit Feuereifer die Theorie der geplanten Obsoleszenz unterstützen und sämtliche Müllhalden der Welt an Überfüllung durch Wohlstandsschrott zugrunde gehen lassen. Doch unnötig zu erklären, dass man darauf auch eigenständig, ohne die Hilfe eines solchen Schriftstückes, kommen kann. Schließlich sieht man selbst, wie der Mensch ständig dem Streben nach mehr gefällig ist und darüber eine große Weisheit vergisst: »Nur der ist froh, der geben mag.«[3]
Ein weiterer, gelegentlich erwähnter, fadenschneidiger Vorwand als Rechtfertigung eines Lesers dieses Werkes ist die wirklich bravouröse Sprache, von der ein gebildeter Mensch gewiss nur profitieren kann. Dazu kann ich, mit Verlaub, nur eines sagen: »Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.«[4] Denn welches zweitklassigen Menschen Sprache lässt sich schon mithilfe eines einfachen Buches grundlegend verbessern? Selbstverständlich, so muss ich augenfällig eingestehen, wäre es für die Welt ein wahrhaft fürstlicher Gewinn, würden die rückständigen Menschen dieser Zeit ein wenig mehr Feinfühligkeit im Sprachgebrauch an den Tag legen, denn »wer sich behaglich mitzuteilen weiß, den wird des Volkes Laune nicht erbittern.«[5]
Doch was nützt es schon, hier einen besseren Erdenkreis zu erdenken, ohne zu handeln? Ich erinnere mich an eine Tragödie, deren Name mir bedauerlicherweise gerade entfallen ist, in welcher ein gelehrter Doktor auszog in dem Wunsch, die Welt zu verändern. Zwar war er keineswegs eine Vorbildfigur, aber von seinem Tatendrang kann man sich zweifellos eine Scheibe abschneiden und aus seinen Fehlern lässt es sich gewiss trefflich lernen. Doch wie dem auch sei. Die Faust ist und bleibt für mich ausschließlich ein Schlaggerät, aber um zu demonstrieren, dass ich kein scheuklappenverzogener, einfältiger Gimpel bin, werde ich mich dazu herablassen, mich mit eventuellen oppositären Meinungen objektiv zu befassen. Denn schließlich »[…] irrt der Mensch, solang er strebt.«[6]
(Wer hatte das noch gleich gesagt?)
[1] Johann Wolfgang von Goethe in Faust II
[2] Johann Wolfgang von Goethe in Faust I (»Nacht«, Vers 358-359)
[3] Johann Wolfgang von Goethe in Faust I
[4] Johann Wolfgang von Goethe in Faust I (»Nacht«, Vers 765)
[5] Johann Wolfgang von Goethe in Faust I
[6] Johann Wolfgang von Goethe in Faust I (»Prolog im Himmel«, Vers 317)
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